Vor ihrer Wimbledon-Generalprobe in dieser Woche im verregneten englischen Seebad Eastbourne genoss Rasen-Queen Angelique Kerber erst einmal ein bisschen "Bella Italia". "Ich habe mir eine Pizza Hawaii gegönnt", sagte die 27-Jährige dem SID und meinte nach ihrem ersten Gras-Titel: "Es war speziell, etwas ganz Besonderes. Aber Druck mache ich mir jetzt nicht."
Mit ihrem Trainer Torben Beltz feierte Kerber ihren Finalsieg in Birmingham gegen die Tschechin Karolina Pliskova (6:7, 6:3, 7:6) eher bescheiden beim Italiener um die Ecke. Viel Zeit blieb für das Erfolgs-Duo vor der Abreise zur nächsten Zwischenstation auf der Insel ohnehin nicht. Bereits am Montag startete das Turnier in Eastbourne. Die letztjährige Finalistin Kerber ist in der Grafschaft East Sussex an Position sechs gesetzt.
Kerber Favorit auf den Titel?
Viele Experten aber denken bereits an den heiligen Rasen - und trauen Kerber beim anstehenden Turnier von Wimbledon (29. Juni bis 12. Juli) den ganz großen Wurf zu. "Für mich zählt Angie zu den Titel-Favoritinnen. Vor allem nach der Woche von Birmingham", sagte Barbara Rittner dem SID. Die Fed-Cup-Teamchefin ist sich sicher: "Ihr Spiel passt perfekt zu Rasen."
Will heißen: Mit ihrem Winkelspiel, dem überraschenden Umschalten von Defensive auf Offensive und ihrer formidablen Beinarbeit kann Kerber im All England Lawn Club jede Gegnerin schlagen.
"Deutschlands größte Hoffnung"
Ikone Chris Evert bezeichnete die Kielerin unlängst als "Deutschlands größte Hoffnung". Kerber sei "die härteste der deutschen Spielerinnen, mental am stärksten und eine Kämpferin", sagte Evert jüngst der Sport Bild. Die US-Amerikanerin glaubt auch, dass Kerber Vorteile gegenüber der ehemaligen Wimbledon-Finalistin Sabine Lisicki (Berlin) hat: "Angelique ist konstanter und auch mental stärker. Das muss man sein, um ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen."
Pliskovas Kommentar über die Schnelligkeit der Weltranglistenzehnten war dann auch bezeichnend: "Ich hatte das Gefühl, dass sie gleichzeitig überall auf dem Court ist."
Kerbers Trümpfe
Und Kerber besitzt noch zwei weitere Trümpfe: Sie ist Linkshänderin, und sie zeigt die alte Nervenstärke, die ihr in ihrer Krise zwischen Mitte Februar und Ende März abhanden gekommen war. "Ich glaube wieder an mich", sagte Kerber. Ihrem Spitznamen "Houdini" wird die sechsmalige WTA-Turniersiegerin wieder voll gerecht. Aus schier ausweglosen Situationen befreit sie sich mit unbändigem Kampfgeist. "Angie gibt einfach nie auf", meinte ihre Fed-Cup-Teamkollegin Andrea Petkovic.
Die Wende zum Guten war Kerber im April geglückt, als sie binnen 15 Tagen ihre ersten beiden Sandplatz-Titel in Charleston/USA und Stuttgart holte. Vorausgegangen waren ein paar Tage Training in Las Vegas mit Steffi Graf. "Sie konnte mir wertvolle Tipps gegen", verriet Kerber.
Über ihre Rolle der Mitfavoritin in Wimbledon wollte "Angie" aber nicht nachdenken: "Ich bleibe meiner Weisheit treu und denke nur von Match zu Match." Dabei ist der heilige Rasen an der Church Road ein gutes Pflaster für die 27-Jährige. 2012 hatte Kerber im Halbfinale von Wimbledon gestanden. Im vergangenen Jahr erreichte sie nach einem Sieg über Superstar Maria Scharapowa (Russland) das Viertelfinale.